Ein Beitrag von H-J Philipps
Wem ist das noch nicht passiert? Man kommt aus der Haustüre und möchte nur mal kurz die Straße queren, und da kommt er auch schon angerast – nein, schon eher angeflogen – der Fahrer jenes Autos, das man nur schemenhaft in den Augenwinkeln noch wahrnehmen kann.
Ein intuitiver Sprung aus der Gefahrenzone verhindert Schlimmeres. Puuh.., so ein Idiot, noch mal Glück gehabt. Solche Erlebnisse sind für betroffene Mitbürger prägend und fordern Reaktionen nach Verkehrsberuhigung geradezu heraus. Doch wer die Emotionen beiseite lässt und sich dem tatsächlichen Problem widmet, wird schnell erkennen, dass der Gesetzgeber um einen Ruf nach Verkehrsberuhigung manch rechtliche Hürde aufgebaut hat, die es zu nehmen gilt. Nur der Wunsch und die Erlebnisse alleine reichen nicht aus, um einen innerörtlichen Straßenverlauf in eine verkehrsberuhigte Zone umzuwandeln.
Der nachfolgende Auszug aus der Straßenverkehrsordnung zeigt deutlich, was Verkehrsberuhigung bedeutet:
Die Straßenverkehrsordnung nennt fünf Punkte, die es innerhalb des verkehrsberuhigten Bereiches zu beachten gilt:
1. Der Fahrzeugverkehr muss Schrittgeschwindigkeit einhalten.
2. Fußgänger dürfen die Straße in ihrer ganzen Breite benutzen; Kinderspiele sind überall erlaubt.
3. Die Fahrzeugführer dürfen die Fußgänger weder gefährden noch behindern; wenn nötig, müssen sie warten
4. Die Fußgänger dürfen den Fahrverkehr nicht unnötig behindern.
5. Das Parken ist außerhalb der dafür gekennzeichneten Flächen unzulässig, ausgenommen zum Ein- oder Aussteigen, zum Be- oder Entladen.
Aber Hand aufs Herz: Wer weiß auf Anhieb, wie schnell Schrittgeschwindigkeit ist?
Antwort: 4-7 km/h. Ja, richtig, vier bis sieben Kilometer pro Stunde!
Diese Geschwindigkeit einzuhalten ist sicherlich recht schwierig, da sie sich oft am Tachometer nicht ablesen lässt. Aber: Wenn Sie im ersten Gang mit Leerlaufdrehzahl dahin rollen, hat Ihr Fahrzeug die Geschwindigkeitsobergrenze bereits überschritten. Zumindest sollten Sie nicht noch zusätzlich Gas geben!
Die Verkehrsfläche in einem verkehrsberuhigten Bereich steht allen Verkehrsteilnehmern zur Verfügung („Mischverkehr“). Es gibt hier keine Trennung zwischen Fahrbahn, Seitenstreifen und Gehwegen. Außerdem sind hier Kinderspiele überall erlaubt.
Allerdings muss kein Autofahrer auf ein raumgreifendes Fußballturnier von unter 17-Jährigen gefasst sein. Dreirad und Roller fahren, Fangen spielen oder Seilhüpfen – diese und ähnliche „Klassiker“ für Kinder bis 14 Jahre umfasst der Hinweis auf „Kinderspiele“.
Solche Zonen sind im übrigen nicht die einzige Möglichkeit, Verkehrsberuhigung zu erreichen.
Auch Sackgassen und Einbahnstraßenregelungen gehören zu den klassischen Mitteln zum Zweck.
Die bauliche Ausgestaltung entspricht dem Ziel, den Verkehr wirksam zu beruhigen. Blumentröge und Bänke, Schwellen und sonstige Hindernisse erschweren die Durchfahrt und zwingen jeden zu gemächlicher Fahrt. In der Regel führt das auch dazu, dass nur derjenige durch eine „Spielstraße“ fährt, der dort ein Ziel hat: Anwohner und Besucher, Geschäftsleute und Kunden. Die Straßenverkehrsordnung weist aber ausdrücklich darauf hin, dass ein verkehrsberuhigter Bereich nicht auf den Anliegerverkehr beschränkt ist.
Wer den verkehrsberuhigten Bereich wieder verlässt – was ein rot durchgestrichenes „Spielstraßen“-Schild signalisiert -, sollte allerdings eines auf seinem weiteren Weg mitnehmen: Das Gefühl, auch „draußen“ jederzeit gefasst zu sein auf das höchste Alarmzeichen: einen Ball, der zwischen zwei geparkten Autos auf die Fahrbahn rollt…
Aber auch eine Reduzierung von innerorts 50 km/h auf 30 km/h bedarf einer Ausnahmegenehmigung und muss triftig begründet werden. Grundsätzlich ist es sicher berechtigt, bei veränderten Voraussetzungen (z. B. mehr Verkehr oder größere Akzeptanz von Tempo 30 in Wohngebieten etc.) solche Entscheidungen erneut auf den Prüfstand zu bringen und ggf. zu verändern.
Allerdings sollte dies innerhalb eines Gesamtkonzepts geschehen, bei dem Vor- und Nachteile und andere zielführende Bausteine untersucht und abgewogen werden und die gesamten Ortsteile befragt werden. Dazu wären folgende Konsequenzen und Erfahrungen aus anderen verkehrsberuhigten Maßnahmen in Betracht zu ziehen – denn: das alleinige Anbringen von Verkehrsschildern reicht erfahrungsgemäß nicht aus, sondern muss von begleitenden Maßnahmen wie Verengungen durch Parken auf der Straße und sonstige Rückbauten ergänzt werden, um eine tatsächliche Geschwindigkeitsreduzierung zu erzielen.
Ungeachtet dessen sollte sich jeder Verkehrsteilnehmer in einer stillen Stunde ganz generell einmal die Frage stellen: Warum so schnell, warum so viel Risiko, was bringt mir das letztendlich?
Carpe diem, nutze den Tag! Doch heute bedeutet es, nutze den Tag möglichst schnell und schneller, denn schneller ist besser. Dalli-Dalli ist das Motto bei der Arbeit, beim Sport oder in der Zeit zwischen den Terminen. Wer zu spät kommt, wird bestraft. Aber wer zu schnell ist, ist schneller tot als der Langsame. Ein Plakat am Wegesrand, welches für angemessene Geschwindigkeiten wirbt, zeigt ein Holzkreuz am Straßenrand mit der Bildunterschrift: „Jetzt überholen ihn die anderen.“
Der Tempowahn hat Schattenseiten, nicht nur im Straßenverkehr. Stress, Unruhe und Erkrankungen zwingen viele Menschen zur ungewollten Auszeit. Im Würgegriff der Zeit wird Eile zur Belastung. Jedoch stößt man bei vielen Mitmenschen zu den oben beschriebenen Verkehrs- und Verhaltensregelungen auf taube Ohren, und es steht zu befürchten, dass die Vernunft und Einsicht dieser Mitbürger zur Teilnahme an einer allgemeinverträglichen Verhaltensweise wohl dauerhaft im wahrsten Sinne des Wortes „auf der Strecke“ bleiben wird und nur durch restriktive Aktionen eine Mäßigung herbeigeführt werden kann.
In diesem Sinne, erst Hirn und dann Motor einschalten und allzeit gute Fahrt!